SAMIRA1
Das Fahrerassistenzsystem für rangierende Güterzüge
Die erste Phase des SAMIRA-Projekts wurde von 05.09.2019 bis zum 04.03.2023 durchgeführt.
Ausgangslage
Ausgangspunkt war die nach wie vor sehr angespannte Personalsituation in den Transport- und Logistik-Betrieben sowie die weiterhin sehr zeit- und kostenintensiven Prozesse und Abläufe im Rangierbetrieb von Schienenfahrzeugen, z.B. in der Hafenlogistik oder in Güter-Umschlagzentren.
Rangierfahrten mit langen Rangierabteilungen werden heute im Zweimann-Betrieb durchgeführt, da der Einmann-Betrieb mit Funkfernsteuerung wegen der damit verbundenen Wegezeiten bei Richtungswechsel viel zu zeitintensiv und ineffektiv ist. Außerdem ist der Einsatz von Funkfernsteue-rungen bei Zuglängen größer 550m in bestimmten Bereichen aufgrund von gestörten Funkübertra-gungen keine sichere Lösung. Bei kurzen Rangierabteilungen stellt dagegen die Funkfernsteuerung das Maß aller Dinge dar.
Das SAMIRA-Konzept
Die Lösung dieser Engpässe führte zum Konzept von SAMIRA. Hierbei werden beide Zugenden mit einer elektronischen Kamera und weiterer Umfeldsensorik (z.B. RADAR, LiDAR, SatNav, IMU) ausgestattet. Diese Sensormodule (SAMIRAmobil), kombiniert mit einer sehr sicheren und latenzarmen Echtzeit-Übertragung des Live-Bildes zusammen mit den Sensordaten in den Führerstand, ermöglicht dem Lokrangierführer (LRF) eine geschobene Fahrt „auf Sicht“ sicher durchzuführen, ohne dafür die Lokomotive verlassen zu müssen. Dabei gehören sowohl die Sensoren zur Gefahrraum-Überwachung als auch deren Datenübertragung in den Führerstand zu den sicherheitsrelevante Komponenten, die die bahnspezifischen Anforderungen erfüllen müssen.
Im Führerstand bekommt der LRF auf einem Touchpanel (Human Machine Interface HMI) sowohl ein latenzfreies Live-Bild als auch weitere Informationen, Daten und Warnhinweise dargestellt, die in den Videostream projiziert werden. Über dieses Panels kann der LRF vor der Fahrt auch Angaben über seine Rangierabteilung eingeben, wie z.B. Gesamtgewicht, Länge, etc., und erhält so Prognosen über seinen aktuellen Bremsweg, die im augmentierten Livebild dargestellt werden.
Neben den Zugmodulen erhöhen zusätzliche stationäre Module zur Gleisüberwachung (SAMIRAfix) die Sicherheit im Gleis an unübersichtlichen Gefahrenstellen und ein RTK-System ermöglicht die präzise Positionsbestimmung und damit die gleisgenaue Ortung des Zuges.
Umsetzung bei SAMIRA1
SAMIRAmobil
Nach der Erstellung der System- und Sensorspezifikationen erfolgte die entsprechende Auswahl und Beschaffung der Hardwarekomponenten sowie die Softwareentwicklung. Die schrittweise Inbetriebnahme der Komponenten und der Teilsysteme führte dann im Zuge des Projekts zu einem Demonstrationsaufbau, der nachfolgend dargestellt ist. Damit konnten Mess- und Testfahrten auf dem Betriebsgelände der Fa. Reuschling in Hattingen und zusammen mit RheinCargo auf dem Gelände der Kokerei Prosper in Bottrop durchgeführt werden.
SAMIRAfix
Parallel zum Aufbau des SAMIRAmobil-Moduls wurde das Modul SAMIRAfix aufgebaut, das zur stationären Überwachung von neuralgischen Gefahrenstellen, wie z.B. Bahnübergängen oder Einfahrten, dient. Dazu wird es fest an einer Hauswand oder einem Mast befestigt und entsprechend ausgerichtet. Das Modul beinhaltet die vergleichbare Hardware wie bei SAMIRAmobil, benötigt jedoch keinen RADAR-Sensor. Es ist über die gleichen Kommunikationsschnittstelle drahtlos in das Mesh-Netzwerk eingebunden, sodass die Live-Daten von jedem autorisiertem Teilnehmer im Netz empfangen werden können. Damit erhält der Lokführer einen direkten Einblick in eine Gefahrenstelle noch bevor er mit seiner Rangierabteilung diese Stelle erreicht.
Die nachfolgende Grafik zeigt den Aufbau für den SAMIRAfix-Demonstrator:
Wireless Mesh Netzwerk (WMN)
Die sehr sichere und latenzarmen Echtzeit-Übertragung des augmentierten Live-Bildes vom Wagenende in den Führerstand der Lokomotive hat eine essentielle Bedeutung für die Akzeptanz des Gesamtsystems. Eine temporäre Störung oder gar ein Ausfall der Übertragung oder selbst eine zu große zeitliche Verzögerung bedeuten unmittelbar eine ernste Gefährdung durch die Rangierfahrt. Daher werden an das Datennetz und den Übertragungskanal hohe Anforderungen gestellt.
Hierzu wurde für SAMIRA ein industrielles Wireless-Mesh-Netzwerk mit einer qualifizierten Echtzeit-Datenübertragung und einer maximalen Latenz von 200 ms entwickelt und aufgebaut. Die Laufzeit der Datenübertragungen wird kontinuierlich überwacht, indem die Systemzeiten aller Netzteilnehmer über das GPS-Signal synchronisiert werden. Dazu erfolgt jede Datenübertragung mit einem entsprechenden Zeitstempel, sodass jede einzelne Überschreitung der maximalen Latenzzeit sofort erkannt und angezeigt wird.
Aufgrund der räumlichen Ausdehnung und topographischen Gegebenheiten des Rangiergeländes werden zur lückenlosen Funk-Abdeckung mehrere Funkstationen (Access-Points) benötigt, deren Empfangsbereiche sich überlappen. Für eine nahtlose Datenübertragung muss gewährleistet sein, dass jede SAMIRA-Station der Zugeinheit immer mindestens eine Funkverbindung zu einer der Funkstationen hat. Bewegt sich die Rangiereinheit dann durch das Gelände muss der Wechsel der Funkverbindung von einer Funkstation zu einer nachfolgenden (Hand-over) immer nahtlos und ohne Datenverlust erfolgen.
Dies wird durch das gesteuerte Mesh-Netzwerk gewährleistet, bei dem eine verlustfreie Übergabe der Funkübertragung von einer Station zu der nachfolgenden aufgrund des aktuellen Feldstärkeverlaufs erfolgt. Ergeben sich über die einzelnen Access-Points mehrere Übertragungswege bis zum Empfänger, wählt die Mesh-Steuerung immer die optimale Verbindung aus. Dadurch erhält man redundante und damit ausfallsichere Übertragungskanäle. Dies ist in der nachfolgenden Grafik schematisch dargestellt (grüner oder blauer Übertragungsweg). Die Steuerung des Mesh-Netzwerks erfolgt innerhalb der Funkstationen und benötigt keinen zentralen Server. Damit ist das Netz auch beim eventuellen Ausfall einer Station weiterhin betriebsbereit.
Live-Demonstration Proof-of-Concept
Zum Abschluss des SAMIRA1-Projekts fand im September 2022 eine sehr erfolgreiche Live-Demonstration des SAMIRA-Gesamtsystems auf dem Betriebsgelände der Fa. Reuschling in Hattingen statt, bei dem auch Vertreter der Industrie teilnahmen. Jedes SAMIRA-Modul bildet mit seiner Sende-Empfangseinheit gleichzeitig auch einen Mesh-Knoten für die Kommunikation im Datennetz. Darüber hinaus wurden noch weitere Acces-Points aufgestellt, wie z.B. das dargestellte Radio 4.
Ausblick
Nach dem erfolgreichen Abschluss der ersten Phase des SAMIRA-Projekts folgt nun die erweiterte Praxiserprobung des Systems, insbesondere mit folgenden Schwerpunkten:
- Weiterentwicklung des Demonstrators zur Erreichung des Technolgy Readiness Level 7 (TRL7): Demonstration eines System-/Prozessprototypen in einer Betriebsumgebung
- Erhöhen der Zuverlässigkeit der Objekterkennung in unterschiedlichen Umgebungen mittels KI
- Problemloser Stand-alone Betrieb des Gesamtsystems
- Anpassen der Echtzeit-Datenübertragung zur Nutzung des 5G-Mobilfunks als Übertragungsmedium
- Optimieren des Sensormoduls im Hinblick auf Größe, Gewicht und Anbringungsmöglichkeit für den Einsatz in rauer Industrieumgebung
Partner
Automotive & Rail Innovation Center GmbH
FH Aachen
Westfälische Lokomotiv-Fabrik Reuschling GmbH & Co. KG
airgrips UG
Assoziierte Partner
RheinCargo GmbH & Co. KG
Thyssenkrupp Steel Europe AG
Danksagung
Das gesamte Projektteam bedankt sich ausdrücklich beim Land Nordrhein-Westfalen und der Europäischen Kommission für die erhaltenen Fördermittel für das Forschungsprojekt SAMIRA, ohne denen das Vorhaben nicht hätte realisiert werden können.
Die Finanzierung erfolgte über eine Zuwendung des Landes Nordrhein-Westfalen und der Europäischen Kommission mit Mitteln aus dem Fonds für regionale Entwicklung (EFRE)
Förderkennzeichen: EFRE-0801689, Akt.z. der LeitmarktAgentur.NRW: ML-2-2-033A